Auszeichnung für BR-Cheftonmeister Wolfram Graul

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat neben dem in allen Medien als „einziger Deutscher“ erwähnten Bariton Thomas Quasthoff ein weiterer einheimischer Klassik-Künstler vergangenen Sonntag einen Grammy, die wichtigste Auszeichnung der amerikanischen Musikindustrie, erhalten: Wolfram Graul, der Chef-Tonmeister des Bayerischen Rundfunks.

Der 52-Jährige wurde in der Kategorie Beste Opernaufnahme für seine Aufzeichnung von Leos Janáceks „Jenufa“ mit Dirigent Bernard Haitink im Londoner Covent Garden geehrt. Im Gegensatz zu Quasthoff, Beyoncé Knowles oder Justin Timberlake konnte sich Graul das vergoldete Grammophon nicht selbst abholen. Kurz vor der Preisverleihung in Los Angeles war er in seinem Wohnort Bad Endorf ausgerutscht und hatte sich die Hand gebrochen.

SZ: Hat es sehr weh getan, die Preisverleihung nur am Fernseher zu verfolgen?
Graul: Naja, der Fernsehteil ist ohnehin ein etwas anderer. Nur die besonders Renommierten werden gezeigt. Aber es wäre schon schön gewesen. Mein Grammy kommt per Post.

SZ: Was machen Sie damit?
Graul: Ich stelle ihn auf meinen Schreibtisch im Büro. Ich finde diese Auszeichnung schon außergewöhnlich.

SZ: Also keine verstaubte „Granny“, wie viele über diese im Pop-Bereich meist erwartbare Auszeichnung spotten?
Graul: Überhaupt nicht. Für mich war es eine völlige Überraschung. Ich wusste nicht einmal, dass meine Aufnahme in die engere Auswahl gekommen war. So etwas erlebt man selten. Damit wird eine Arbeit gewürdigt, die von besonderen Schwierigkeiten gekennzeichnet ist.

SZ: Inwiefern?
Graul: Eine Live-Aufnahme in einem Opernhaus gleicht in keinster Weise einer normalen CD-Produktion. Die Akustik ist viel schlechter. Es gab Kollegen, die haben total vom Covent Garden abgeraten. Wir haben es trotzdem gewagt. Das ist eine besondere Freude, wenn etwas, das unter solchen Bedingungen entstanden ist, so ein Aufsehen erregt.

SZ: Was genau ist so besonders an Ihrer Aufnahme?
Graul: Sicherlich gerade der Live-Charakter. Wenn Sänger auf der Bühne agieren, entsteht Spannung, die sich auch auf die Musik überträgt. Diese Spannung kommt in der Aufnahme gut rüber. Bernard Haitink ist außerdem einer, der diese Art von Musik unglaublich transportieren und die Sänger animieren kann. Meine Aufgabe war, das einzufangen und durch den Schnitt zu optimieren.

SZ: Worin besteht dabei der Unterschied zwischen Ihnen als Tonmeister und einem Toningenieur?
Graul: Wir werden auch als Musikregisseure bezeichnet. Toningenieure sind für die Technik da. Sie steuern das Mischpult. Der Musikregisseur spricht mit den Künstlern über Inhalte, von der Intonation bis zum Zusammenspiel. So kommt ein Optimierungsprozess in Gang.

SZ: Das klingt nach harten Auseinandersetzungen mit den Dirigenten.
Graul: Man entwickelt eine eigene Vorstellung von dem Stück und bespricht die dann mit dem Dirigenten. Aber wer sich mit Musik beschäftigt, weiß, dass man niemals auslernt. Ich habe mit vielen großen Künstlern gearbeitet, und alle sind sehr offen für Vorschläge. Ich profitiere wiederum selbst als Dirigent des Garchinger Sinfonieorchesters von meinen Erfahrungen.

SZ: Hat es Sie gestört, dass Ihre Auszeichnung kaum aufgefallen ist?
Graul: Man ist als Produzent daran gewöhnt, im Hintergrund zu sein. Aber ich freue mich, dass sich die Leute jetzt interessieren und es Gelegenheit gibt, etwas über die Arbeit zu erklären.

Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 12. Februar 2004
Interview: Jochen Temsch